Der Lange Marsch
Der Lange Marsch war ein Ereignis innerhalb des Chinesischen Bürgerkrieges. Dieser tobte in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Er ist bis heute ein zentraler Heldenmythos der kommunistischen Partei Chinas. Lange Märsche gibt es auch in unseren Breiten. Nur nicht so ruhmreich. Aber ähnlich beschwerlich und zeitintensiv.
Ich stelle Ihnen den Ablauf eines Mieterhöhungsverlangens für eine Wohnung dar. Dieser wird von einem Gerichtssachverständigen wie folgt beschrieben:
"Eine Wohnung im Erdgeschoss, in einem 2 1/2-geschossigen angebauten voll unterkellerten Mehrfamilienwohnhaus.
- Baujahr 1994.
- Die Wohnung befindet sich in Saarlouis in einer guten Wohnlage.
- Die Wohnfläche beträgt 85 m².
- Zur Wohnung gehört ein Stellplatz.
Den Eheleuten V gehört diese Wohnung. Sie haben dieselbe an Frau M vermietet. Das Mietverhältnis begann am 01.11.2018.
Im Dezember 2020 belief sich die Kaltmiete auf 525,00 €. Bei einer Wohnungsgröße von 85 m² kommen wir auf einen Quadratmeterpreis von 6,17 €.
Mit Schreiben vom 21.12.2020 haben die Vermieter ein Mieterhöhungsschreiben an die Mieterin gerichtet. Ab 01.04.2021 von 525,00 € um 105,00 € auf 630,00 €, was einer Steigerung von 6,17 €/m² um 1,24 €/m² auf 7,41 €/m² entspricht.
M stimmte dem Mieterhöhungsverlangen nicht zu. Dies hatte zur Folge, dass mit Schriftsatz vom 08.03.2021 eine Mieterhöhungsklage beim Amtsgericht Saarlouis anhängig gemacht wurde. M beauftragte ihrerseits einen Rechtsanwalt, sie in einem gerichtlichen Verfahren zu vertreten. Die Begründung zum Klageabweisungsantrag datiert vom 16.04.2021.Nach dem üblichen Standard.
- Die im Mieterhöhungsschreiben genannten Vergleichsobjekte seien in dieser Form ungeeignet.
- Die von M innegehaltene Wohnung sei so mangelhaft, dass die geforderte Mieterhöhung der Gegenleistung nicht entspreche.
Das Amtsgericht Saarlouis führte am 02.09.2021 eine Güteverhandlung durch. Ohne Ergebnis. Am 16.09.2021 erging ein Beweisbeschluss. Der Inhalt war für Mietrechtler keine Überraschung.
- Es soll durch Einholung eines Sachverständigengutachtens geklärt werden, dass der von den Vermietern begehrte Mietzins ortsüblich ist.
- Die IHK des Saarlandes soll um die Benennung eines geeigneten Sachverständigen ersucht werden.
Schwierige Suche nach einem Gutachter
Die IHK Saarland schlug mit Schreiben vom 20.09.2021 eine Expertin vor, die von der IHK Bodensee-Oberschwaben öffentlich bestellt und vereidigt ist für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken.
Ein Experte, der dieser Aufgabe gewachsen ist, ist im Saarland offenbar nicht mehr existent. Die angesprochene Sachverständige vom Bodensee lehnte den Gutachterauftrag mit der Begründung ab, Mieterhöhungen sei nicht ihr Fach.
Schließlich schlug die IHK Saarland einen Architekten vor, der in Rheinland-Pfalz praktiziert. Die Prozessparteien stimmten dem gerichtlichen Vorschlag auf Bestellung dieses Herrn zu. Er bekam den Auftrag. Nach Besichtigung des Objektes am 18.05.2022 wurde das Mietwertgutachten erstellt. Dies war am 20.07.2022. Im Ergebnis hielt der Experte den Mietzins von 7,51 €/m² für ortsüblich.
Als Reaktion hierauf erhob die Mieterin mit Schriftsatz vom 17.07.2023 eine Widerklage. Und zwar mit dem Ziel, dass festgestellt wird, die Mieterin wegen angeblicher Mängel in der Wohnung zu einer Mietminderung von 30 % beginnend mit dem 01.03.2021 berechtigt sei.
Ein weiterer Gerichtstermin wurde für den 16.05.2024 anberaumt. Das Bemühen des Richters, eine gütliche Einigung herbeizuführen, scheiterte.
Am 04.07.2024 gab es zwei Gerichtsentscheidungen:
- Einen Beweisbeschluss mit der Fragestellung, ob die streitgegenständliche Wohnung Mängel aufweist.
- Ein Teilurteil des Inhalts, dass die Mieterin einer Mieterhöhung auf 630,00 € zustimmen muss. Also auf den Betrag, den die Vermieter klageweise einfordern.
Gegen diese Entscheidung hat die Mieterin keine Berufung eingelegt mit der Folge, dass Rechtskraft eingetreten ist. Seit März 2021 bis heute (Oktober 2024) zahlt die Mieterin unverändert den "alten" Mietzins in Höhe von 525,00 €. Ohne monatliche Erhöhung von 105,00 €. Dies hat zur Folge, dass zwischen März 2021 und Oktober 2024 für 44 Monate jeweils 105,00 € zu wenig gezahlt wurden. Die Rückstände summieren sich auf 4.620,00 €.
Option einer fristlosen Kündigung
Gemäß §§ 543, 569 Abs. 2a Ziffer 3 BGB können die Vermieter das Mietverhältnis fristlos kündigen, wenn die Mieterin sich mit zwei Monatsbruttomieten 630,00 € Kaltmiete plus Nebenkostenvorauszahlung
50,00 € =1.360,00 € im Rückstand befindet und zwei Monate nach rechtskräftiger Verurteilung (gerechnet ab 04.07.2024) vorbei sind.
Das Mietverhältnis ist schon seit Jahren zerrüttet. Den Vermietern wurde geraten, die für sie günstige Konstellation zu nutzen und der Mieterin das Mietverhältnis fristlos, hilfsweise fristgemäß zum 31.05.2025 zu kündigen.
Es ist für die Mieterin brandgefährlich, sich auf ein vermeintliches Minderungsrecht zu verlassen. Soweit diesseits beurteilt werden kann, wird die Mieterin mit einer 30-prozentigen Mietminderung nicht durchkommen. Zumal der Sachverständige aus Rheinland-Pfalz nach Besichtigung der Wohnung wegen Feststellung von Mängeln lediglich ein Abschlag von 5 % akzeptierte.
Die Mieterin wäre aus ihrer Sicht sicherlich besser beraten, den Erhöhungsbetrag ab 01.03.2021 unter Vorbehalt einer Mietminderung zu zahlen. Und nicht einzubehalten. Wenn über die Jahre auch nur ein Rückstand von 1.360,00 € zurückbleibt, war es das für die Mieterin. Das Mietverhältnis wäre beendet.
Welche Prozesse stehen an
Die Vermieter haben den Mietvertrag fristlos gekündigt. Nach Ablauf der gewährten Räumungsfrist am 21.10.2024 wird Räumungsklage erhoben, da die Mieterin einen Auszug nicht akzeptiert. Der Lange Marsch wird fortgesetzt. Nach Zahlung von Gerichts- und Sachverständigenkosten, die in die Tausende gehen, geht es mit zwei Prozessen weiter:
- In dem einem in dem festgestellt werden soll, ob eine 30-prozentige Mietminderung gerechtfertigt ist.
- In dem anderen um Räumung und Zahlung.
Ein Ende der Auseinandersetzung, die mit dem Mieterhöhungsschreiben vom 21.12.2020 begann ist nicht absehbar. Hoffentlich nicht noch einmal 4 Jahre!